Versager*in oder Guru oder – Der Grund, warum ich kein Fan von Mehrhundehaltung bin

von Ulrike Seumel

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Diese Zeilen werden sehr persönlich und ich hoffe, dass sie mir keine*r übel nimmt. Ich habe Angst davor, diesen Text zu veröffentlichen und ihn mit dir zu teilen. Dieser Text stellt mich bloß. Es fühlt sich zumindest so an, denn ich bin eine Hundetrainerin. (Dieser Text stammt aus dem Jahr 2015.)

Beim letzten Seminar in Leipzig sagte eine Teilnehmerin zu mir “Ich dachte, bei euch läuft immer alles super.”

– Warum?

Ihre Antwort – “Weil deine Bilder, die du bei Facebook postest immer so harmonisch aussehen.”

  • Tja, warum sollte ich ein Foto machen, wenn die fast 3-jährige Ridgeback Hündin Ami nachts mal wieder tropft und es beginnt, nach Urin zu riechen?
  • Warum sollte ich ein Foto machen, wenn Paco ningelt und die anderen mit seinen Blicken zur Ruhe zwingt, weil er Schmerzen hat?
  • Warum sollte ich ein Foto machen, wenn Ascii am Fenster steht und brüllt, weil die Nachbarkatze unsere Terrasse überquert?

Ein schlechter Zeitpunkt für eine schöne Erinnerung und nein, das will ich nicht bei Facebook teilen. Ich finde das nicht immer lustig, sondern stellenweise anstrengend.

Wir haben nicht geplant, mit drei Hunden zusammenzuleben. Ich wollte immer nur einen Hund und mit ihm eine tolle Zeit haben und ihn durchs Leben begleiten.

Dann kam Ascii zu mir, weil er sonst vielleicht ein Grundstück bewacht hätte.

Kurz darauf kam mein Freund dazu mit seiner Hündin und schwuppdiwupp hatte ich drei Hunde – ok, und einen Freund – den Besten auf der ganzen Welt noch dazu.

Warum ich lieber nur einen Hund halte

Kompromisse machen

Die Hunde müssen ständig Kompromisse machen. Sie teilen sich alles – Lebensraum, Aufmerksamkeit, Zeit … Das ist für Hunde nicht immer leicht.

Die Hunde suchen sich ihre Mitbewohner nicht aus, sondern wir setzen ihnen einen Artgenossen vor, mit dem sie sich arrangieren müssen. Meist bleibt es bei einer Wohngemeinschaft, die sich im besten Fall toleriert und Konflikte leise und friedlich lösen kann.

Ich freue mich für jeden Hund und jede Hundehalter*in, wenn die zusammenlebenden Hunde eine innige Bindung haben.

Auch du und ich als Hundehalter*in müssen Kompromisse machen.

Das Training läuft nicht optimal – unser Dreiergespann hat eine ganz besondere Dynamik. Während Ascii allein das Wild ruhig beobachten kann, ohne es sofort zu hetzen, hat er im gleichen Moment gemeinsam mit Ami schon mehrmals versucht, die Schleppleine zu sprengen.

Einzeln ist so viel leichter. Jeder unserer Hunde macht einzeln große Fortschritte, zusammen läuft es sehr zäh im Moment.

Warum das so schwer ist?

Es ist unmöglich, auf die Bedürfnisse von allen drei Hunden einzugehen. Das können wir nur auf Einzelrunden, ansonsten müssen alle drei zurückstecken.

Paco mag andere Hunde sehr gern, aber Ami braucht gar keine anderen Hunde und Ascii braucht ein paar Minuten zum Warmwerden. Das lässt sich gemeinsam nur schwer unter einen Hut bringen.

Von jeglichem Perfektionismus musste ich mich verabschieden.

Mein Freund und ich machen Kompromisse. Wir müssen mehr Zeit für die Hunde einplanen, damit wir ihnen einzeln gerecht werden. Andere Dinge, die uns wichtig sind, mussten wir deshalb stark zurückschrauben.

Urlaub ohne Hund funktioniert momentan nicht, da Ami nur von uns betreut werden kann und starken Trennungsstress hat. Und einen inkontinenten Hund betreuen wir lieber selbst.

Zeit ist kostbar

Wir brauchen viel Zeit – nicht nur zum Gassi gehen, auch mehr Zeit zum Putzen, Futter zubereiten, Hunde fertig machen zum Gassi gehen… Auch die Kleinigkeiten summieren sich.

Wir müssen Gassistellen suchen, um nicht immer auf Dinge zu treffen, die einem den letzten Nerv rauben. Ich allein würde mit allen drei Hunden zusammen nicht an Orten Gassi gehen, wo mir das Reh „Guten Tag“ sagt, denn 90 Kg halten sich im Ernstfall vielleicht nicht. Außerdem würde ich mich in meiner Freizeit gern auch entspannen.

Zeit ist sehr kostbar und du kannst sie dir nicht kaufen. Neben einem Vollzeitjob und einer Selbstständigkeit wird es bei uns sehr eng und es bleibt kaum Raum für andere Hobbys oder Sehnsüchte.

Die liebe Kohle

Dir ist klar – je mehr Hunde, umso mehr Kosten.

Auch ein Massenrabatt beim Futterkauf hilft da nicht weiter.

Tierarztkosten, Medikamente, Benzinkosten, neues Auto, Futterkosten, Versicherung, Steuer, Spielzeug, Geschirre und Halsbänder, Leinen, Hundebetten…

Diesen Faktor solltest du vorher einkalkulieren und wenn man mit mehreren Hunden zusammenleben möchte, muss man an anderer Stelle sparen.

Wir leben für unsere Hunde

Unser Alltag dreht sich nur um die Hunde und wird um diese herum geplant. Das liegt an unserer Hundekonstellation und an den gesundheitlichen Problemchen von Ami und Paco.

Tierärzt*innenbesuche dauern bei uns oft 1,5 h, weil zwei Hunde osteopathisch behandelt werden und der Dritte die Tierärztin kennenlernt. Das bedeutet 1,5h volle Konzentration, den Hunden helfen, sie festhalten, Körpersprache beachten – das Beste für das Training rausholen.

Ich manage viel, damit wir ein harmonisches Zusammenleben haben können.

Ohne mich läuft nichts?

Zu Beginn des Zusammenlebens mussten wir alles managen. Paco und Ami mussten innerhalb der Wohnung durch ein Kindergitter getrennt werden, da es sonst Auseinandersetzungen gab. Ami wollte Paco verprügeln und aufgrund dieser Erfahrung hat Paco sofort geknurrt hat, wenn er in der Wohnung auf sie getroffen ist – ein Teufelskreis.

Außerhalb der Wohnung haben wir Interaktionen reguliert und die Hunde an die Hand genommen mit Hilfe von unseren Trainingswerkzeugen, damit sie Konflikte ohne Kratzer lösen können und ein besseres Verhältnis bekommen.

Mittlerweile müssen wir den Hunden nur noch in Ausnahmesituationen helfen. Sie kommen sehr gut miteinander aus. Paco und Ami würden sicher trotzdem aufeinander verzichten, wenn sie die Wahl hätten. So ist das manchmal in einer WG…

Ohne unsere Arbeit und unser Durchhaltevermögen wäre ein Zusammenleben gar nicht möglich, denn die Hunde trennen, können wir zeitlich nur bedingt, ansonsten würden mein Freund und ich uns gar nicht sehen. Das würde ich nicht aushalten und so möchte ich nicht leben – auch nicht der Hunde zuliebe.

Unsere Hunde bringen alles mit – Angst, Aggression, Jagdverhalten und Trennungsstress – ein Gesamtpaket, an dem ich enorm gelernt habe und welches uns immer wieder herausfordert.

Ich liebe unsere Hunde, aber mein Lebensinhalt sind sie nicht – sondern nur ein Teil davon.

Man gewöhnt sich an alles. Das stimmt und wir wachsen immer wieder über uns hinaus, aber ich bin mittlerweile sehr müde. Nicht nur im übertragenem Sinn – seit der Inkontinenz schlafen wir nicht mehr durch. Bei dem kleinsten Geräusch werden wir wach.

Ich leide darunter, dass die Hunde nicht das Leben führen, was ich mir für sie wünsche – ich sollte meine Erwartungen runterschrauben, aber das schlechte Gewissen bleibt.

Durch die Müdigkeit und die Sorgen aufgrund der gesundheitlichen Probleme bei Ami und Paco habe ich immer weniger Spaß mit den Hunden und ich bin leichter reizbar.

Das Multitasking macht mich schlapp.

Das bedeutet nicht, dass es jeder Mehrhundehalter*in so geht. Aber bei mehreren Hunden können sich Probleme schneller summieren und belasten die Halter*in.

Auch wenn du nur einen Hund hast, kannst du dich vielleicht in dem Text wiederfinden. Mit einem Hund zusammenzuleben ist nicht leicht, wenn dein Hund gesundheitlich eingeschränkt ist oder sein Verhalten nicht sofort jedem gesellschaftlichen Anspruch genügt.

Ich habe wahnsinnig großen Respekt vor Hundehalter*innen, die einen oder mehrere Hunde halten und alles für ihre Hunde geben. <3

Zweifel

Ich zweifle an meinen Fähigkeiten. Als Trainerin weiß ich, dass ich bei meinen eigenen Hunden nicht objektiv sein kann und dass ich oft ein Brett vor dem Kopf habe.

Ich weiß, wie wir an den Problemen arbeiten können und ich hole mir Hilfe von Kolleginnen, die das Brett vor meinem Kopf verschwinden lassen.

Zum Training brauche ich Zeit und ganz besonders Kraft, und genau an diesen beiden Dingen fehlt es gerade oft im Alltag. Und ob meine Kraft für die nächsten zehn Jahre ausreicht, weiß ich nicht.

Ich zweifele an mir selbst, weil es Momente gibt, wo ich die Tipps, die ich meinen eigenen Kund*innen gebe, nicht umsetzen kann.

Ich zweifele an mir selbst, weil ich mir manchmal nur einen Hund wünsche.

Auch eine Hundetrainerin ist eine Hundehalterin mit Problemen – ich bin kein Guru. Sorry, Leute.

Unser Zusammenleben ist nicht perfekt. Ich muss mit meinen Hunden trainieren und muss sie im Alltag unterstützen, damit ich viele harmonische Fotos für Facebook schießen kann. Ich liebe Harmonie.

Nein, ich beende den Text nicht mit der Weisheit – wenn ich in die Augen meiner Hunde sehe, sind alle Anstrengungen vergessen. Mir geht das leider nicht so. Das Leben sollte aus mehr als nur Hundehaltung bestehen.

In diesem Sinne – genießt die schönen Momente mit, aber auch ohne eure Hunde.

 

Hier findest du eine Fortsetzung meiner persönlichen Geschichte: Versager oder Guru – Teil 2

Endlich Gassi gehen ohne Gebell – 3 Tricks, mit denen ihr sofort stressfrei an anderen Hunden vorbei kommt.

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Über die Autor*in

Ulrike Seumel

Ulrike Seumel ist Trainerin für Menschen mit Hund, Coach, Autorin und Gründerin von Dog It Right.

Mit Dog It Right begleitet sie Menschen und ihre Hund auf dem Weg zu einem glücklichen und unbeschwerten Leben.

Ihr Team und sie trainieren Hundehalter*innen, damit diese wissen, wie sie mit ihrem Hund umgehen. Die Menschen sollen Probleme erkennen, verstehen und lösen können. Dabei trainieren sie immer mit den Bedürfnissen und Stärken von Mensch und Hund.

Video-Training Hunde lesen lernen

Du lernst im Video-Training unsere Techniken, um die Körpersprache von Hunden schnell zu entschlüsseln – egal, um welchen Hundetyp oder Hunderasse es sich handelt.

Marker-Training für Hunde: Auf Augenhöhe zum glücklichen und kooperativen Hund


Markertraining vereint den wertschätzenden Umgang mit Hunden und ein durchdachtes Hundetraining. Du erfährst, wie die Arbeit mit Markersignalen funktioniert und wie man sie im Alltag mit Hunden anwendet. Schwerpunkt des Trainings ist es, das tolle Verhalten des Hundes zu fördern und unerwünschtes Verhalten nachhaltig zu verändern – alles ohne Schreckreize und Druck.

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