Warum das Training am Blickkontakt bei Hunden überbewertet wird

von Ulrike Seumel

Der Hund soll uns ansehen – am besten direkt in die Augen schauen und nicht weggucken. Es freut uns, wenn unser Hund dadurch scheinbar Interesse an uns zeigt und uns mit einem interessierten Gesichtsausdruck ansieht. Wir fühlen uns geschmeichelt und unser Hund zeigt uns damit, dass wir ihm wichtig sind.

Hunde lieben es, ihren Menschen anzustarren!

Solange dein Hund dich freiwillig ansieht, ist alles gut. Du solltest dir nur Gedanken machen, wenn dein Hund gar keinen Anteil mehr an seiner Umwelt nimmt und nur dich anstarrt. Das kann anstrengend werden – für dich.

Schwierig wird es, wenn du mit deinem Hund unbedingt trainieren möchtest, dass er dich anschaut und wenn du möchtest, dass dein Hund dieses Anschauen durchgehend zeigt. Dieses Training kann Nachteile haben.

Konsequentes Anstarren ist nicht normal!

Auch wenn du viele Hunde siehst, die scheinbar ihren Menschen anhimmeln – ich kann dir sagen, auch diese Hunde schauen sicher mal weg.

Wenn du gerade in ein spannendes Buch vertieft bist und plötzlich klingelt es an deiner Tür Sturm, wirst du Richtung Tür schauen. Du wechselst deine Aufmerksamkeit von deinem Buch zur Tür – und wenn es dir wichtig ist, wirst du auch aufstehen und die Tür öffnen. Ist dir dein Buch wichtiger, weil du eh nur Pakete von deinen Nachbar*innen annehmen sollst, bleibst du vielleicht sitzen und liest weiter in deinem Buch.

Warum dein Hund manchmal einfach wegschauen muss…

Das Orientieren zu einem plötzlichen Geräusch oder anderen Reizen ist ein Reflex. Der Kopf wendet sich automatisch, wenn sich in der Umwelt etwas Neues tut! Vor ein paar Tagen hatten wir Besuch und plötzlich ist in unserem Bücherregal ein Buch umgekippt. Die Köpfe aller Hunde und aller Menschen waren sofort bei dem Regal und die Unterhaltung war sofort vorbei. Aber auch wenn es kein Geräusch ist, was dich erschreckt, wenden wir neuen Dingen schnell unsere Aufmerksamkeit zu.

Wenn du ganz allein mit deinem Hund im Wald unterwegs bist und ihr trefft normalerweise auf dieser Strecke niemanden, wird eine einzelne Jogger*in sofort deine Aufmerksamkeit haben – nach ein bis zwei Sekunden wirst du diese Aufmerksamkeit in den meisten Fällen wieder von der Jogger*in wegnehmen und dich anderen Dingen widmen – aber diese einzelne Jogger*in fällt deinem Gehirn auf. So geht es auch deinem Hund. Findet dein Hund dann Jogger*innen noch total überflüssig, wird er ihr vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit schenken.

Geht ihr stattdessen in einem Park Gassi, in dem ihr aller drei Meter einer Jogger*in begegnet, werdet ihr diese sicher gar nicht anschauen oder ihr viel Aufmerksamkeit schenken.

Warum ist konsequenter Blickkontakt so schwer?

Wenn sich in der Umwelt etwas Neues tut, wendet sich die Aufmerksamkeit des Hundes automatisch hin. Das zu unterdrücken, ist schwer und kostet deinen Hund sehr viel Impulskontrolle. Und es ist ganz normal, dass dein Hund da hinschaut.

Wenn du möchtest, dass dein Hund seine Aufmerksamkeit komplett bei dir lässt, musst du sorgfältig in kleinen Schritten mit ihm daran trainieren. Und du musst dir darüber im Klaren sein, dass dein Hund dafür Impulskontrolle aufwendet und das Konsequenzen hat. Dazu solltest du unbedingt diesen Artikel lesen.

Lesetipp: 3 Dinge, die du über Impulskontrolle beim Hund wissen solltest

Mit deinem Hund zu schimpfen, weil er hinschaut, ist sinnlos und stresst deinen Hund unnötig. Und unter Stress wird die Impulskontrolle deines Hundes sofort schlechter.

Stell dir vor, dass du dir einen Film ansiehst. Während des Films werden Wörter eingeblendet, aber du darfst dir diese Wörter nicht ansehen und durchlesen. Das ist schwer. Bei unserem letzten Seminar in Leipzig mit Dr. Ute Blaschke-Berthold hat Ute so einen Film laufen lassen. Ich hatte sehr damit zu kämpfen, diese Wörter nicht zu lesen und irgendwann habe ich doch mal hingeschaut. Schon allein aus Neugier, was da steht. Anscheinend verfüge ich nicht über eine gute Impulskontrolle – aber es war erstaunlich, wie schwer es ist und es ging nicht um eine wichtige Sache. Weder der Film noch die Wörter waren relevant für das Seminar.

Aber überzeuge dich gern selbst. Ich habe hier einen kleinen Film vorbereitet. Ignoriere einfach die Wörter, die du während des Film siehst. 😉

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Und welcher Wörter hast du gelesen? Und wie ging es dir damit?

Warum es deinem Hund schlecht gehen kann, wenn du Blickkontakt verlangst.

Vor ein paar Wochen musste ich an diesen Film vom Seminar und auch an das Thema Training am Blickkontakt denken. Ich hatte mit Ascii und Paco eine Wildschweinbegegnung. Bisher verliefen unsere Wildschweinbegegnungen immer entspannt. Die Wildschweine sehen uns und gehen weiter. Ascii und Paco bleiben stehen und gucken. Noch nie hatte ich Angst, denn kein Wildschwein wollte mit uns Kontakt aufnehmen. Vor ein paar Wochen sah das anders aus – eine Rotte von mehr als acht Wildschweinen kreuzte unseren Weg. Im Abstand von zehn Metern mussten sie den Weg überqueren, auf dem wir unterwegs waren. Ascii, Paco und ich warteten und ließen alle vorbei. Als ich die Wildschweine hörte, bin ich mit den beiden Hunden noch ein paar Meter zurückgegangen, denn zehn Meter empfand ich als zu dicht. Es blieb ein Wildschwein stehen, während alle anderen den Weg überquerten. Als alle Wildschweine durch waren, drehte es den Kopf in unsere Richtung, gab einen tiefen Laut von sich und lief ein paar Schritte auf uns zu.

Mir fiel dabei auf – es hat eine hohe Körperspannung, schaut uns direkt an und gibt tiefe Laute von sich. Neugier treibt es sicher nicht an. Also habe ich Paco und Ascii angesprochen und bin mit beiden umgedreht und weggegangen. Aber ich habe mich mehrmals nach dem Wildschwein umgedreht. Es ist auch sofort wieder im Unterholz verschwunden, als wir weg gegangen sind. (Danke, liebes Wildschwein!) Wir haben dann unseren Spaziergang fortgesetzt, aber ich habe mich immer wieder umgedreht und geschaut, was die Wildschweine machen und ob sie wieder auftauchen.

Manchmal möchte dein Hund etwas im Blick behalten.

Stell dir jetzt vor, du gehst mit deinem Hund Gassi und hinter seinem Rücken passieren gruselige Dinge. Und was gruselig ist, entscheidet dein Hund. Wenn dein Hund ein Problem mit fremden Hunden hat und dein Hund weiß, dass Hunde hinter ihm sind, wird er sich immer wieder umdrehen wollen. Dein Hund muss wissen, was die Hunde hinter ihm machen – kommen sie näher oder sind sie schon weg? Wollen sie an ihm schnüffeln oder laufen sie vorbei? Deshalb drehen sich viele Hunde immer wieder um.

In so einer Situation steigt das Erregungsniveau. Da es sich um keine angenehme Erregung handelt, kann dein Hund schneller aus seinem Fell hüpfen.

Oft ist dein Hund dann auch gestresst und weiß nicht, was ihm passieren wird.

Wenn du in so einem Moment mit deinem Hund schimpfst oder genervt reagierst, wird es deinem Hund schlechter gehen. Und wenn du von deinem Hund verlangst, dass er dich anschauen soll, muss er sich extrem anstrengen und er weiß nicht, was die Hunde hinter ihm treiben. Bietet dir dein Hund den Blickkontakt freiwillig in so einer Situation an, ist das seine Strategie mit der Situation umzugehen und das darfst du gern belohnen. In so einem Fall solltest du nur aufpassen, dass sich dein Hund nicht erschreckt, wenn die fremden Hunden doch plötzlich näherkommen.

Was du statt eines langen Blickkontakt trainieren solltest.

Wenn dein Hund etwas für ihn Interessantes oder Gruseliges ansieht, ist das okay. Es ist normal. Und wenn dein Hund nur hinschaut, aber sich noch nicht in Bewegung gesetzt hat, kannst du dieses Verhalten belohnen. Damit verbesserst du die Impulskontrolle deines Hundes und wenn dein Hund etwas gruselig findet, kannst du die gruselige Situation mit einer guten Emotion verknüpfen.

Lesetipp: So kannst du bei deinem Hund Impulskontrolle aufbauen

Außerdem kannst du deinen Hund belohnen, wenn er sich abwenden kann und weiterläuft.

Damit schaffst du wieder eine gute Stimmung und das Abwenden und Weiterlaufen wird verstärkt. Damit gibst du deinem Hund Sicherheit und zeigst ihm, welche Strategie sich für ihn lohnt. Damit hilfst du deinem Hund und es wird ihm immer leichter fallen, mit solchen Situationen umzugehen. Außerdem ist es ganz natürlich, dass Hinschauen und Wegschauen sich abwechseln.

Mit einem positiven Markersignal wird es einfacher, weil du präzise das einfangen kannst, was du in der Zukunft verstärkt bei deinem Hund sehen willst.

Lesetipp: Der Grund, warum du mit Markersignalen besser trainierst

Hol dir unsere Unterstützung beim Training!

Stell dir vor, wie viel mehr du die Spaziergänge mit deinem Hund genießen kannst, wenn du dich auf deinen Hund verlassen kannst und ihr ein starkes Team seid. Du kannst noch heute mit dem Training beginnen und auch deinen Hund zu einem aufmerksamen Hund machen – mit unserem Onlinekurs „Mein aufmerksamer Hund“.

Aufmerksamkeit zu dir wechseln können – das ist der Shit!

Wenn du deinen Hund belohnst, wenn er sich abwendet, trainierst du den Aufmerksamkeitswechsel. Die Aufmerksamkeit zu wechseln ist sowieso viel wichtiger als der lange Blickkontakt – denn ohne Aufmerksamkeitswechsel kann dein Hund dir gar keinen Blickkontakt schenken. Der Aufmerksamkeitswechsel ist damit der Schlüssel zu einem gelungen Rückruf.

Ich habe mit meinen Hunden Ascii und Paco nur am Wechsel der Aufmerksamkeit trainiert und diesen eingefangen und belohnt. Training am Blickkontakt lasse ich einfach weg, denn schon allein durch einen freundlichen Umgang mit dem Hund, dem Einsatz von verschiedenen Belohnungen und dem Training am Aufmerksamkeitswechsel kam der Blickkontakt von ganz allein.

Und wenn es deinem Hund gut geht, hat er auch viel mehr Gründe, dich anzusehen und sich auf die nächste Aktion mit dir zu freuen.

PS: Hier findest du mehr zu unserem Training: dogitright.de

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Über die Autor*in

Ulrike Seumel

Ulrike Seumel ist Trainerin für Menschen mit Hund, Coach, Autorin und Gründerin von Dog It Right.

Mit Dog It Right begleitet sie Menschen und ihre Hund auf dem Weg zu einem glücklichen und unbeschwerten Leben.

Ihr Team und sie trainieren Hundehalter*innen, damit diese wissen, wie sie mit ihrem Hund umgehen. Die Menschen sollen Probleme erkennen, verstehen und lösen können. Dabei trainieren sie immer mit den Bedürfnissen und Stärken von Mensch und Hund.

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