Fünf Mythen über Geräuschangst bei Hunden

von Ulrike Seumel

Einfach ignorieren, mal eine ordentliche Ansage machen oder Beruhigungsmittel geben – wahrscheinlich hast du schon viele Tipps zum Umgang mit Geräuschangst bei Hunden gehört. Was hilft denn nun wirklich, wenn der Hund vor Angst in der Ecke zittert, sabbert oder nicht mehr das Haus verlassen will?

Geräuschangst hat viele Gesichter – aber eins ist klar: Deinen Hund den andauernden Knallgeräuschen, wie zum Beispiel an Silvester, ohne Vorkehrungen auszusetzen, ist nie eine gute Idee. Nur weil er es letztes Jahr nicht so schlimm fand, ist das keine Garantie für die nächsten Feuerwerke. Doch an welchen Mythen und Ideen rund um die Geräuschangst ist etwas Wahres dran?

1. Mythos: “Er steigert sich da nur rein. Der soll sich nicht so anstellen.”

Das Hundegehirn kann nicht reflektieren. Wie bei vielen Säugetieren ist dem Hund die Angst vor plötzlich auftretenden und intensiven Geräuschen angeboren. Nur reagiert jeder Hund individuell stark auf laute und plötzliche Geräusche. Wer weiß, welche Gefahr sich dahinter verbergen könnte? Dein Hund weiß es nicht.
Vielleicht hat dein Hund zusätzlich noch negative Erfahrungen mit lauten Geräuschen gemacht. Wenn dein Hund etwas sensibler ist als andere, dann ist das nicht seine Schuld und auch nicht deine. Vielmehr liegt es heute in deiner Verantwortung, damit umzugehen und ihm eine Stütze zu sein.

“Jeder Hund ist – so wie er ist – gemacht worden. Er ist das Produkt seiner genetischen Ausstattung und seiner Umwelterfahrungen.” Dr. Ute Blaschke-Berthold

Wenn dein Hund sich anders verhalten könnte, würde er es tun.

Ein Hund würde sich niemals aussuchen, Angst zu haben. Wenn er die Wahl hätte, würde er definitiv lieber entspannt in seinem Bett liegen, mit dir spielen oder draußen die Welt erkunden. Angst ist keine Entscheidung, sondern eine Emotion. Das Verhalten deines Hundes in so einer Situation ist seine Strategie, mit der Angst umzugehen. Er hat in der Vergangenheit gelernt, dass genau dieses Verhalten die Emotion Angst, ein wenig erträglicher macht. Auch wenn er stundenlang von Fenster zu Fenster rennt und bellt, dann ist genau das seine Strategie.

Bevor du sein Verhalten unterbrichst, überleg dir eine Alternative!

Es nervt dich, dass er die ganze Zeit bellt? Er soll nicht ständig versuchen, in dein Bett zu kommen? Das Verhalten deines Hundes ist seine Strategie. Und diese hilft ihm! Nimmst du ihm seine Strategie, wird die Angst unerträglich. Wenn du Glück hast, sucht er sich eine Strategie, die dir besser gefällt. Wenn du Pech hast, knabbert er vielleicht lieber am Sofa. Überleg dir also, welches Alternativverhalten du ihm anbieten kannst, wenn dir sein jetziges nicht gefällt.

Lesetipp: So übersteht dein Hund Silvester

Warum bist du genervt?

Wenn du am 31.12. Besuch hast und kurz vor Mitternacht den Durchfall vom Küchenboden wischen musst, dann nervt das. Wenn du lieber auf die Party deiner besten Freundin gehen würdest, dein Hund dir aber die Wohnung zerlegen würde, dann nervt das. Wenn du eine gewisse Erwartungshaltung an deinen Hund hast und er diese nicht erfüllt, entsteht schnell Frust bei dir. Versuche nochmal, einen Schritt zurückzugehen und deinen Hund so zu sehen, wie er ist: Dein Wegbegleiter mit Macken und Stärken. Wenn Feuerwerk seine Schwäche ist, dann erwarte vom 30.12. bis 01.01. einfach mal nichts von ihm. Nimm ihn so, wie er ist und sei für ihn da.

Lesetipp: Wenn dein Hund nervt

2.  Mythos: “Wenn du einen ängstlichen Hund lobst, wird er noch ängstlicher.”

“Einfach ignorieren. Wenn du ihn jetzt streichelst oder anspricht, dann verstärkst du die Angst.” Angst ist eine Emotion, die nicht bewusst vom Hund gesteuert werden kann. Es gibt keine Situation, in der dein Hund sich denkt, “Wenn ich jetzt Angst habe, dann bekomme ich bestimmt einen Keks.” Stattdessen führt “richtiges” Trösten dazu, dass dein Hund sich besser fühlt.

Falsches Trösten

Auf ihn einreden, drauf los streicheln, ihn hochheben oder eine ordentlich Ladung Leberwurst vorn reinschieben – all das ist falsch, wenn es deinem Hund nicht hilft und wenn ihm das unangenehm ist in diesem Moment. Auch für dich kann Geräuschangst stressig sein. Vielleicht hast du sogar selbst Angst vor Feuerwerk. Da kann es schnell passieren, dass du etwas tust, was eigentlich nur dir hilft. Ihn zu loben, zu füttern oder Körperkontakt zu suchen, fühlt sich für dich in dem Moment vielleicht gut an. Ob etwas deinem Hund hilft, kannst du nur herausfinden, wenn du ihn beobachtest und in Betracht ziehst, was er auch sonst gern mag.

Richtiges Trösten

Für richtiges Trösten gibt es kein Patentrezept. Alles, was gut tut, ist erlaubt. Der Besitzer einer Hündin, die bei mir in Betreuung war, spielt für ihr Geschäft Ed Sheeran Musik von seinem Handy. Er spielt immer das gleiche Lied, während sie ihr Geschäft verrichtet, über mehrere Wochen hinweg vor Silvester. Er hat das Gefühl, dass es ihr hilft und somit ist es richtiges Trösten. Achte genau auf die Körpersprache deines Hundes und die Strategien, die er bereits verfolgt. Versucht er, in dein Hosenbein hineinzukriechen, kann Körperkontakt wie streicheln oder hochheben sicherlich helfen. Verkriecht er sich unter dem Sofa, wäre ein schallgedämpfter Raum mit einer Box, die dein Hund kennt, als Rückzugsort bestimmt angenehm für ihn.

Lesetipp: Warum du deinen ängstlichen Hund trösten solltest

3. Mythos: “Mach laute Musik an und versteckt euch im Schrank!”

Wenn dein Hund laute Geräusche wie Musik oder Actionfilme gewöhnt ist und dabei entspannt bleibt, dann lass gern den neuen James Bond Film in Dauerschleife und auf hoher Lautstärke laufen. Dies funktioniert nur, wenn er dabei wirklich entspannt bleibt. Wenn es bei dir sowieso ab und zu etwas lauter hergeht, dann können diese bekannten Geräusche wunderbar das Feuerwerk übertönen.

Zusammen seid ihr stärker!

Du kannst wie ein Schutzschild für deinen Hund wirken. Wenn du dich ruhig verhältst und Dinge tust, die ihm helfen, wird er sich in deiner Nähe gleich wohler fühlen. Ob ihr zusammen James Bond guckt, euch in einer ruhigen Ecke der Wohnung verkriecht und kuschelt oder mit dem Auto an einen Ort fahrt, wo es weniger oder gar kein Feuerwerk gibt, ist dabei ganz euch überlassen.

Lesetipp: Notfallplan für dein Silvester mit Hund

4. Mythos: “Power ihn so richtig aus und gib ihm eine Beruhigungstablette!”

Körperliche Erschöpfung ist nicht gleich Entspannung. Die körperliche Auslastung am Silvestertag ist ohnehin schwer ohne Knallgeräusche zu gewährleisten. Fahrradfahren, Frisbee werfen und Agility hebt ihr euch besser für Mitte Januar auf, wenn auch die letzten Knallköpfe alles verpulvert haben.

Wenn dein Hund in der Silvesternacht körperlich erschöpft ist, liegt er vielleicht platt in der Ecke, was allerdings nicht heißt, dass die Angst in ihm geringer ist. Schlimmstenfalls bleibt die Angst die gleiche, nur kann er seine Strategien nicht mehr ausführen. Vielleicht ist er zu schwach, um die Treppen zu einem ruhigeren Platz nach oben zu laufen. Vielleicht hat er keine Kraft mehr, um zu bellen oder hin- und herzulaufen. Er kann seine Strategien nicht mehr ausführen, was die Angst größer werden lassen kann.

Ähnliche Auswirkungen kann eine Beruhigungstablette haben. Wenn du überlegst, ob ein Beruhigungsmittel deinem Hund helfen könnte, informiere dich genau über die Wirkungsweise. Lähmt das Mittel deinen Hund, nimmst du ihm seinen Handlungsspielraum und schadest ihm mehr, als du ihm hilfst. Arbeite beim Einsatz von Nahrungsergänzungen und Medikationen bitte immer mit deiner Tierärzt*in und deiner Hundetrainer*in Hand in Hand. Und bitte informiere dich nicht erst wenige Tage vor Silvester in der Praxis.

Was wirklich hilft

Minimiere den Stress im Alltag deines Hundes. Bereits einige Wochen vor Silvester kannst du Dinge meiden, die bei deinem Hund Stress auslösen. Wenn es auf der Hundewiese ab und zu mal rauer zugeht, dann meide sie um den Jahreswechsel. Wenn du gerade etwas Neues trainierst, verkürze die Einheiten und mach es ihm etwas leichter. Manche Medikamente brauchen wochenlang Vorlauf und können nur langsam abgesetzt werden. Bitte wende dich damit an die Tierärzt*in deines Vertrauens. Deine Trainingstechniken hingegen stehen dir jederzeit zur Verfügung.

In unserer jährlichen Silvestervorbereitung als Online-Liveworkshop zeigen wir unseren Teilnehmer*innen Techniken, die sie sofort anwenden können und die den Hund unterstützen. Wenn du noch gemeinsam mit Ulli und dem ganzen Team von Dog It Right deinen Hund auf Silvester vorbereiten möchtest, dann melde dich jetzt an.

5. Mythos: “Thundershirt, Beruhigungsmusik und Ätherische Öle funktionieren bei meinem Hund nicht!”

Es gibt Wickelshirts für Hunde, die durch Druck das Stressempfinden verringern können. Beruhigungsmusik kann entspannend wirken und Ätherische Öle können sich ebenfalls positiv auf die Emotionen von Hunden auswirken. Hier ist das WIE wichtiger als das WAS. Wie oben erwähnt kann auch Ed Sheeran aus dem Handy eine Wirkung haben. Wenn du eine dieser Methoden nutzen möchtest, ist es entscheidend, dass du die Methode ein paar Wochen vor Silvester und im entspannten Zustand mit deinem Hund aufbaust. Das Thundershirt kann auch ohne Konditionierung funktionieren. Mit Sicherheit möchtest du aber nicht am 31. deiner völlig verängstigten Fellnase ein neues Kleidungsstück anziehen. Die Wirkung von Musik und Ölen kannst du vorher aufbauen oder verstärken.

Lesetipp: Wie du Düfte und andere Dinge zur Entspannung beim Hund einsetzen kannst

Fazit

Du kannst nichts falsch machen, wenn du Geräuschangst vorbeugst. Bei meinen Betreuungshunden mache ich bei jedem lauten oder plötzlichen Geräusch eine Leckerliparty. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass der Hund dann bei plötzlichen und lauten Geräuschen zu mir kommt und auf seinen Keks wartet. Das ist mir definitiv lieber, als ein Hund, der wegläuft oder zusammenbricht.

Egal wie gut dein Hund vermeintlich mit lauten Geräuschen und sogar Feuerwerk klar kommt, lass ihn niemals allein zuhause. Du kannst nie wissen, ob vielleicht jemand einen Knaller genau vor deinem Fenster zündet. Wenn dein Hund in Panik verfällt und keinen Schutz findet, kann sich die Angst über Silvester hinaus auf euren Alltag auswirken.

Es ist zwar keine große Stärke des besten Freundes des Menschen, dass er bei Feuerwerk entspannt bleibt, aber zum Glück muss er nicht allein da durch. Wie wirst du deinem Hund in diesem Jahr rund um den Jahreswechsel helfen?

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Über die Autor*in

Ulrike Seumel

Ulrike Seumel ist Trainerin für Menschen mit Hund, Coach, Autorin und Gründerin von Dog It Right.

Mit Dog It Right begleitet sie Menschen und ihre Hund auf dem Weg zu einem glücklichen und unbeschwerten Leben.

Ihr Team und sie trainieren Hundehalter*innen, damit diese wissen, wie sie mit ihrem Hund umgehen. Die Menschen sollen Probleme erkennen, verstehen und lösen können. Dabei trainieren sie immer mit den Bedürfnissen und Stärken von Mensch und Hund.

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