3 Mythen über positive Verstärkung

von Ulrike Seumel

Lebendige Futterautomaten, skrupellose Bestecher*innen oder doch disziplinlose Übermütter – positive Verstärkung steht oft im Schussfeld. Doch was ist dran an den Vorwürfen, die immer wieder im Netz zu lesen sind?

1. Positive Verstärkung ist unnatürlich.

Hunde sind Säugetiere. Hunde besitzen ein Säugetiergehirn und dieses sorgt dafür, dass der Hund sein Verhalten möglichst gut an seine aktuelle Umwelt anpassen kann. Das Ziel ist, Unangenehmes zu vermeiden, während gleichzeitig Angenehmes vermehrt werden soll. Das Gehirn sammelt deshalb viele Informationen darüber, mit welchen Verhaltensweisen das möglich ist – das Gehirn lernt.

Was bedeutet positive Verstärkung?

Der Begriff positive Verstärkung stammt aus der Lerntheorie, mit der Lernprozesse für uns theoretisch greifbar und nachvollziehbar gemacht werden. Ein theoretischer Begriff, den Menschen geschaffen haben und deren Hintergrund Menschen seit vielen Jahren erforschen und beschreiben.

Der Begriff Stress umschreibt auch in der Theorie vieles, vor allem die Stressreaktion des Gehirns und des Körpers – ihn als unnatürlich zu bezeichnen, auf diese Idee würde sicher niemand kommen.

Egal, ob du positive Verstärkung jetzt magst oder nicht – das Säugetiergehirn des Hundes lernt und deshalb können dir die Theorien über Lernprozesse helfen zu verstehen, was passiert und sie können dich im Training unterstützen.

Wenn du aber glaubst, dass Hunde eher dank magnetischer Anziehung oder einer coolen Energie ihr Verhalten an die Umwelt anpassen, dann begehst du gerade einen Verrat an der Natürlichkeit – oder seit wann sind Gehirne unnatürlich?

Lesetipp: 6 Gründe, warum du positive Verstärkung im Training einsetzen musst

2. Es gibt keine Grenzen.

Die antiautoritären Fellstreichler*innen lassen ihren Hunden alles durchgehen, denn sie finden es so schön, wenn sich ihre Hunde entfalten können. Der zweite Nebensatz ist wahr und ich hoffe, du setzt jetzt dein natürliches Gehirn ein, um zu verstehen, was ich meine. (Achtung – Ironie.)

Keine Grenzen zu setzen, ist unmöglich. Jedes Haus, jede Leine oder ein Zaun, die den Hund bei uns halten, grenzen den Hund ein. Und darüber entscheidest immer du als Halter*in des Hundes. Du entscheidest, wo er lebt. Schon hast du Grenzen gesetzt.

Diese Grenzen sind aber bei dem Vorwurf, dass keine Grenzen gesetzt werden, meist nicht gemeint. Sondern dass der Hund einfach machen kann und niemals Verhalten unterbrochen wird. Und das trifft definitiv nicht zu.

Achtsam und freundlich?

Alle Menschen, die bewusst positive Verstärkung bevorzugen und die ich kenne, sind äußerst achtsame und freundliche Personen, die nicht möchten, dass andere Lebewesen oder die Umwelt unter ihrem Hund in irgendeiner Art leidet. Deshalb achten sie darauf, dass ihr Hund nicht einfach zu angeleinten Hunden rennt, Wild hinterher hetzt oder im Garten der Nachbarn unerlaubt Löcher buddelt.

Und sicher gibt es da auch Ausnahmen, denn ich beobachte und kontrolliere niemanden – aber Menschen machen Fehler und treffen falsche Entscheidungen. Solltest du mal jemand beobachtet haben, der etwas Doofes angestellt hat und sich auf die Fahne positive Verstärkung schreibt, dann verurteile doch bitte nur diese Person und nicht einen Begriff aus der Lerntheorie. (Oder verurteile einfach gar nicht und frag doch einfach mal nach. Und das ist nicht nur ein guter Ratschlag für die Welt des Hundetrainings.)

Wenn du immer mehr mit positiver Verstärkung trainierst, wird dein Hund sich auch unterbrechen lassen, wenn du nicht laut wirst. Du wirst Wege finden, wie du Verhalten unterbrechen kannst, ohne deinen Hund zu erschrecken. Und du wirst lernen, wie du unerwünschtes Verhalten erst gar nicht entstehen lassen musst. Denn nur so kannst du auch große Trainingserfolge erzielen.

Lesetipp: Warum Verhaltensunterbrecher so wichtig sind

3. Positive Verstärkung geht nur bei Tricks!

Und eigentlich wird der Hund dabei eh nur dressiert… mmh – auf der einen Seite soll der Mensch also die Führung übernehmen und dem Hund jede Entscheidung abnehmen, aber den Hund zu dressieren ist auch Mist. So ein dressierter Hund wäre doch ein perfektes Anhängsel für einen Führer, oder?

Hunde müssen essen, um zu überleben

Meine Hunde arbeiten gern für Futter aus meiner Tasche, aber was sie wirklich gut dressiert hat, ist der Joggerkot bei uns im Wald. Der zieht sie immer magisch an. Wahrscheinlich hat der Joggerkot einfach mehr Führungsqualitäten als ich. Das kann ich neidlos anerkennen.

Wenn dressieren keine gute Sache ist, dann soll der Hund also frei entscheiden dürfen, äh, der Hund soll sich freiwillig dazu entscheiden, dass der Mensch ab jetzt alles entscheiden darf. Ich hoffe, du kannst mir überhaupt folgen. Je mehr ich mich in diese Argumente vertiefe, umso unlogischer erscheinen sie mir. Am Ende ist das alles nur eine subjektive Sicht auf die Hundewelt und du musst deinen eigenen Standpunkt finden. Du musst herausfinden, welche Werte und Einstellungen dir wichtig sind. Und welchen Fakten oder Behauptungen du Recht gibst.

Lesetipp: 9 Dinge, die du über positive Verstärkung wissen musst – und die du jetzt vielleicht nicht erwartest

Mir ist wichtig, dass meine Hunde sich in meiner Gegenwart gut fühlen und gern mit mir kooperieren.

Denn vieles, was ich von ihnen erwarte, passt nicht zu ihnen – sie wollen hetzen und ich will, dass sie beim Rückruf sofort stoppen und zu mir kommen. Ich möchte, dass meine Hunde schwierige Situationen mit einem kühlen Kopf meistern können und nicht einfach ausflippen – deshalb ist es mir wichtig, dass sie eigenständig Entscheidungen treffen, die für ihre Umwelt und mich okay sind. Und ich möchte meine Hunde so behandeln, wie ich auch mit anderen Menschen und Tieren umgehen will – zumindest versuche ich dieses Ideal immer anzustreben.

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Über die Autor*in

Ulrike Seumel

Ulrike Seumel ist Trainerin für Menschen mit Hund, Coach, Autorin und Gründerin von Dog It Right.

Mit Dog It Right begleitet sie Menschen und ihre Hund auf dem Weg zu einem glücklichen und unbeschwerten Leben.

Ihr Team und sie trainieren Hundehalter*innen, damit diese wissen, wie sie mit ihrem Hund umgehen. Die Menschen sollen Probleme erkennen, verstehen und lösen können. Dabei trainieren sie immer mit den Bedürfnissen und Stärken von Mensch und Hund.

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